Im Tal der Königinnen

 

Vor 20 Jahren bezogen wir unser neues Haus in Oberbayern. Es war Februar, im Schneesturm wurden unsere Möbel ausgeladen. Einige Tage kämpften wir mit den Umzugskisten, dann meinte meine junge und dynamische Frau: "Lass uns die Skier packen und in die Berge fahren!" "Bei diesem Nebel?" fragte ich irritiert. "Dann gehen wir wenigstens Langlaufen!" meinte mein besseres Ich. Und da ich die Umzugskartons nicht mehr sehen konnte, willigte ich ohne Widerrede ein.

So fuhren wir nach Süden über den Kesselberg und waren ganz überrascht, dass ab dem Walchensee die Sonne strahlte. In Wallgau schnallten wir die Skier an und liefen los, vorbei an beschneiten Bäumen und über einen Talgrund voller glitzernder Schneekristalle. Die Wolkenfetzen über Wetterstein und Karwendel lösten sich gerade auf, die Alpspitze erglänzte als eine weiße, sanft geformte Pyramide.
 

Übersicht der Barfußpfadgeschichten

 

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Alpspitze
Original unter freier Lizenz in Wikimedia Commons

"Das ist das Reich der Schneekönigin", blitzte mir durch die Gedanken. Ich blickte zu meiner Frau -- und so wie sie mir zulächelte, dachte sie genau dasselbe. Die Panoramaloipe führte immer tiefer in dieses Reich. Wir wurden so verzaubert, dass uns seither alle Sehnsucht dorthin zieht, wenn der Nebel zäh über der Ebene des Vorlands liegt. Und wenn dann die Schnee- und Reifkristalle in der Sonne glitzern, wird es ganz schnell hell in unserer Seele.

Auch im Sommer zog es uns in dieses großzügige Tal zwischen den eindrucksvollen Bergketten. Da standen die Wiesen voller Blumen und manchmal sahen wir Kinder darin spielen. Sehr gerne wanderten wir am Kranzberg und konnten die Blütenpracht auf den Buckelwiesen kaum fassen. Und als wir selbst Kinder hatten, nahmen wir sie so oft wie möglich mit an die vielen schönen Orte im Tal der Schneekönigin.

Einmal schlief ich kurz ein, als ich mich dort zur Rast niedergelegt hatte, den Duft der Blumen roch und das Summen der Bienen hörte. Da hörte ich -- ja, ich bin mir ganz sicher -- eine Stimme zu mir sprechen, freundlich, aber bestimmt:

"Wenn Kinder naturverbunden aufwachsen dürfen, blühen sie auf wie Blumen!"

Ich erwachte aus dem Sekundenschlaf und sah meine Kinder zwischen den Blüten fröhlich spielen. Ja, es stimmte, was ich gehört hatte, es musste die Stimme der Blumenkönigin gewesen sein. "ich würde so gerne alle Kinder dieser Erde aufblühen sehen," rief ich, worauf mich meine Frau etwas irritiert fragte: "was träumst du da?"

Dass ich doch nicht geträumt hatte, stellte sich einige Zeit später heraus, als mich ein freundlicher Herr aus Mittenwald anrief und sagte, dass er mit seinen Leuten gerne einen Barfußpfad am Kranzberg anlegen würde -- genau an der Stelle, wo die Blumenkönigin zu mir gesprochen hatte. Das Thema Sinnespfade ist mein Hobby, und über das Internet sind meine Aktivitäten auf diesem Gebiet schon ein wenig bekannt geworden. Deshalb erreichen mich manchmal solche Anfragen. Für mich stand aber fest, dass die Blumenkönigin den Auftrag vermittelt hatte. So unterstützte ich die Mittenwalder gerne bei der Gestaltung ihres Barfußwanderwegs. Und zur Eröffnung am 24. Juni 2006 waren dort die Wiesen voller blühender Blumen und blühender Kinder!

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Kürzlich -- es war wieder Winter -- las ich in der Zeitung:

"Das ist die neue Schneekönigin, Magdalena Neuner aus Wallgau"

Ich stutzte: zwar hätte ich dieser schönen Gegend ohne weiteres zugetraut, noch eine weitere Königin zu beherbergen. Doch die Schneekönigin hatte uns schon vor über 20 Jahren verzaubert, als die kleine Lena gerade das Licht der Welt erblickte -- dieses ganz besondere, glitzernde Licht in ihrem Reich. Die sympathische junge Sportlerin hatte ich aber erst vor zwei Jahren ganz zufällig wahrgenommen, als ich auf der Homepage von Wallgau nach dem Loipenbericht suchte.

Also sah ich dort nochmals nach -- und sofort war klar, dass alles mit rechten Dingen zuging. Auf ihrer Homepage findet man Bilder eines hübschen Mädchens mit fröhlicher Ausstrahlung. Ganz ähnlich habe ich oftmals meine Kinder gesehen, wenn wir an den Bächen und auf den Wiesen dieser Gegend unterwegs waren.

Ich bin überzeugt, dass die Schneekönigin und die Blumenkönigin unsichtbar an Magdalenas Wiege gestanden sind. Von Kindheit an beeindruckt sie mit sportlichen Erfolgen und menschlicher Geradlinigkeit. Ich glaube aber, dass die Sportlerin des Jahres 2007 (und zweifache Siegerin der Olympischen Spiele 2010) die Herzen der Menschen vor allem deshalb erobert, weil sie den unwiderstehlichen Charme der Landschaft ausstrahlt, in der sie aufgewachsen ist.

Meine Kinder, die auch viele Sonnenstrahlen im Tal der Königinnen aufgenommen haben, sind ebenfalls auf einem guten Weg in eine erfüllte Zukunft. Dabei werden sie mir hoffentlich immer nahe bleiben. Auch sie blühen auf wie Blumen, denn die Verbindung zu Mutter Erde gibt ihnen feste Wurzeln für das ganze Leben!

 

Lorenz Kerscher, Februar 2008

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Magdalena Neuner

Original unter freier Lizenz in Wikimedia Commons

 

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